Das Netzwerk Cellulosenitrat

Das Netzwerk CN ist eine Interessengruppe, die sich mit dem verantwortungsbewussten Umgang mit fotografischen und kinematografischen Materialien auf Cellulosenitrat-Basis beschäftigt.

Die komplexe Informations- und Rechtslage zu Cellulosenitrat-Materialien führt zu Verunsicherung, in betroffenen Sammlungen teilweise gar zur Handlungsunfähigkeit und mitunter zur Vernichtung von bedeutendem, einzigartigem Kulturgut. Das Netzwerk Cellulosenitrat will eine fundierte und zugängliche Wissensbasis schaffen, um Handlungssicherheit im Umgang mit diesem Material zu gewährleisten. Darüber hinaus will es sich den rechtlichen Unklarheiten widmen und dafür einsetzen, die Rechtssituation nachvollziehbar und praxisorientiert zu gestalten.

Motivation zur Gründung des Netzwerks waren Ereignisse wie dieses: Im Herbst 2016 sah sich das Deutsche Röntgen-Museum in Remscheid dazu gezwungen, 200 unerschlossene Röntgenfilme auf Cellulosenitrat von Prof. Dr. Robert Janker zu kassieren. Da keine Lagerungsmöglichkeit für den Bestand gefunden werden konnte, wurden unwiederbringliche und einzigartige Werke aus der Frühzeit der Röntgengeschichte für immer zerstört.[1] Dabei handelt es sich sicherlich um keinen Einzelfall. Die Arbeit mit fotografischem Material auf Cellulosenitrat-Trägern erfolgt stets innerhalb eines heiklen Spannungsfeldes. Archive, Museen und andere Kulturerbe-Institutionen bewegen sich dabei zwischen dem Erhaltungsauftrag für das ihnen anvertraute Kulturgut und einer komplexen, schwierig zu erschließenden Rechtslage.

Cellulosenitrat

Cellulosenitrat ist der früheste thermoplastische Kunststoff überhaupt.

Sowohl in der Fotografie als auch in der Kinematografie wurde der flexible Bildträger zwischen Ende der 1880er Jahre und dem Produktionsende in den 1950er Jahren umfangreich und für diverse Foto- und Kinefilmformate eingesetzt. Daher befinden sich in entsprechenden Archiven mitunter große, historisch wertvolle Sammlungen auf diesem sensiblen Träger. 

Foto- und Kinefilmmaterialien auf einem Bildträger aus Cellulosenitrat sind leicht entzündlich und brennen mit intensiver Flamme ab. Hinzu kommt, dass sich ein entfachtes Feuer nicht löschen lässt und giftige bzw. lebensgefährliche Gase freigesetzt werden. Aufgrund der stofflichen Rahmenzusammensetzung wird Cellulosenitrat als „sonstiger explosionsgefährlicher Stoff“ im Sinne des Sprengstoffgesetzes SprengG verstanden.  Auflagen zur Lagerung, Handhabung sowie zum Transport werden in diversen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien definiert.[2]

Ein besonders diffiziler Punkt, der zu starker Verunsicherung führt, ist die Einschätzung der Gefahr einer Selbstentzündung von CN-Materialien. Eine überhöhte Angst davor schüren viele missverständlich formulierte und oft falsch zitierte Angaben im Internet. Unzweifelhaft ist, dass der Charakter der exothermen Zersetzung zumindest bis zu einem bestimmten Zersetzungsgrad dazu führt, dass der Wert, der für eine Selbstentzündung ausreichenden Umgebungstemperatur sinkt. Allerdings fehlen auf reale Lager- und Arbeitsbedingungen bezogene Untersuchungen, die eine Temperaturgrenze definieren und so eine Risikobewertung ermöglichen. Dies ist auch für die Differenzierung zwischen Fotografie- und Kinefilmbeständen sowie weiteren Objekten aus CN entscheidend.

Herausforderungen

Die genannten Eigenschaften sind Grundlage für die rechtlichen Bestimmungen in Bezug auf die Lagerung, Handhabung und Transport von Cellulosenitrat.

Die existierenden Gesetze, Richtlinien und Verordnungen erfordern aber eine sichere Auslegung sowie umfangreiche Kenntnisse der gegebenen baulichen Beschaffenheiten des Lagerortes.[3] Mitunter besteht in Institutionen die Annahme, sich mit dem bloßen Besitz von CN-Materialien strafbar zu machen. Aufgrund der Unsicherheiten, die bei der Auslegung der Gesetzestexte entstehen, kommt es nicht selten zu nicht notwendigen Kassationen.

Die aktuelle Rechtsauffassung wurde in einem Sachstandsbericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages mit dem Titel: „Der Umgang mit Filmen auf Nitrozellulosebasis im internationalen Vergleich“ (2016) dargestellt.[4] Dieses Papier wurde offensichtlich im Zusammenhang mit den Überlegungen des Bundesarchivs zur Revision ihrer Kassationspraxis verfasst, daher kann es keine praktische Handlungshilfe für die verschiedenen Arten der Sammlungen, Archive usw. sein. Dennoch sind auch für andere Kulturerbe-Institutionen grundsätzliche Argumentationen enthalten, so zum Beispiel, dass u. a. das Sprengstoffgesetz und das Chemikaliengesetz beachtet werden müssen und dass für die Lagerung die Sprengstofflagerrichtlinien (SprengLR) anzuwenden sind. Da deren Interpretation und Auslegung aber wie bereits beschrieben äußerst schwierig ist, bleiben weiterhin grundlegende Fragen ungeklärt. Aufgrund der erwähnten Zielsetzung wurde in dem Sachstandsbericht auch nicht benannt, inwieweit bau- und betriebsspezifische Auflagen je nach Bundesland variieren können. Institutionen sind bei der klärenden Informationssuche sich selbst überlassen. Zudem sind zuständige Stellen bzw. Ämter ebenfalls häufig ungeübt im Umgang mit dieser speziellen Thematik.

Eine offizielle Anlaufstelle, die über die entsprechende Expertise verfügt und welche den betroffenen Institutionen ihre Fragen rund um den Umgang mit CN-Materialien beantworten sowie konkrete Hilfestellung leisten kann, existiert nicht. Für die Arbeit der Kulturinstitutionen ist eine differenzierte und praxisorientierte Handlungsempfehlung für den Umgang mit und die Lagerung von Cellulosenitrat notwendig. Unterdessen werden noch immer Foto- und Kinefilmmaterialien auf Cellulosenitrat-Trägern an Kulturinstitutionen herangetragen, beispielsweise aus privaten Quellen. Eine Aussage darüber, wo und in welchen Größenordnungen das Material vorhanden ist, lässt sich nicht treffen, da die Institutionen aufgrund der beschriebenen Situation mehr als vorsichtig sind, offizielle Angaben zu machen. Da sich Träger aus Cellulosenitrat aber insbesondere bei unzureichender Lagerung auch in kurzer Zeit vollständig zersetzen können, führt eine passive Haltung (Nichtstun) unweigerlich zum Verlust der aufgezeichneten Informationen bis hin zum vollständigen Zerfall des Kulturgutes.

Ziele

Das Netzwerk Cellulosenitrat möchte der beschriebenen Problemlage mit folgender Zielsetzung entgegenwirken:


Verweise

[1] Vgl.   Fachverband Medizingeschichte e. V.. URL:  https://df120396-263b-4b9c-a2fc-4be922ef3dc3.filesusr.com/ugd/216d49_941323817f694e0b85df5ced775558ed.pdf (letzter Aufruf am 02.09.2021).

[2] Vgl. Bundesamt für Justiz: Gesetze im Internet. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/aktuell.html.

[3] Wie komplex dies ist, zeigt sich auch daran, dass selbst das Bundesarchiv die zuvor über Jahre betriebene und verteidigte Kassation nicht in Zersetzung befindlicher Cellulosenitratfilme erst nach erneuter sorgfältiger Prüfung der rechtlichen und sicherheitstechnischen Aspekte im Jahr 2016 stoppte.

[4] Vgl. Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste: Der Umgang mit Filmen auf Nitrozellulosebasis im internationalen Vergleich. URL:https://www.bundestag.de/resource/blob/426932/ef55b9a6dd8ccf2bc4836dc88f43af3e/WD-10-020-16-pdf-data.pdf.

[5] Ebenda: S. 4ff.